römische Republik: Vorgeschichte und Entstehung

römische Republik: Vorgeschichte und Entstehung
römische Republik: Vorgeschichte und Entstehung
 
Die römische Frühzeit ist eine Epoche, deren nachprüfbare Geschichte in umgekehrtem Verhältnis zu dem steht, was aus ihr über dramatische Ereignisse und eindrucksvolle Persönlichkeiten erzählt wird. Vieles ist sprichwörtlich geworden — so stammt der Ausdruck, dass man seine Hand für etwas ins Feuer lege, aus der Geschichte des Gaius Mucius Cordus Scaevola während der Belagerung Roms durch den Etruskerkönig Porsenna; viele Stoffe sind in die Weltliteratur eingegangen — so ist die Gestalt des Coriolan unter anderen von William Shakespeare, Bertolt Brecht und Günter Grass behandelt worden. Die seriöse Quellenlage dagegen ist erschütternd schlecht, und diejenigen, die trotzdem unbekümmert Aussagen über diese Zeit machen, sind mit dem geistreichen Wort bedacht worden, sie unterlägen einem »unverantwortlichen Erzähltrieb«. Das liegt daran, dass echte Quellen mit dem Galliersturm auf Rom 387 v. Chr. untergegangen sind und dass die spätere und insbesondere die spätrepublikanische Geschichtsschreibung Sachverhalte kurzerhand erfunden hat, zum höheren Ruhme des römischen Volkes oder auch nur einzelner Familien. Diese Erkenntnis gewann gegen Ende des 18. Jahrhunderts Barthold Georg Niebuhr, der sich die römische Historiographie daraufhin ansah, was denn eigentlich an der Behauptung einzelner Franzosen sei, die sich im Zuge der Französischen Revolution zur Begründung ihrer revolutionären Forderungen auf römische Vorbilder beriefen. Damit wurde die kritische Geschichtsschreibung begründet und die Verlässlichkeit unserer Aussagen über die Geschichte erheblich gesteigert, gleichzeitig erlitt aber auch der poetische Zauber unserer Vorstellungen von der römischen Geschichte eine starke Einbuße, und viele Intellektuelle, darunter vor allem Goethe, aber auch Heinrich Heine, bedauerten das sehr. Es ist kein Zufall, dass diese Entzauberung der römischen Geschichte etwa um dieselbe Zeit eintrat, in der auf dem Gebiet der griechischen Literatur die Homeranalyse von Friedrich August Wolf begründet wurde — beides sind Erscheinungen der europäischen Aufklärung.
 
Am liebsten würde man ja seinem Erzähltrieb nachgeben und die wunderbaren Geschichten wiedergeben, die von der Flucht des Äneas aus dem von den Griechen eroberten Troja handeln, seinem Zwischenaufenthalt in Karthago und seiner Liebesgeschichte mit der Königin Dido, seiner Landung in Italien, der Heirat mit Lavinia und der Gründung der Stadt Lavinium, der Gründung von Alba Longa durch seinen Sohn Iulus, der auch Ascanius genannt wird, den dortigen Königen, deren Geschlecht im ausgesetzten und von einer Wölfin genährten Brüderpaar Romulus und Remus endet, die dann die Stadt Rom gründen, deren erster König Romulus wird, auf den dann sechs weitere Könige folgen: Numa Pompilius, Tullus Hostilius, Ancus Marcius, Tarquinius Priscus, Servius Tullius und schließlich Tarquinius Superbus — aber hierfür muss auf die »Aeneis« Vergils, auf die Lebensbeschreibungen Plutarchs (Romulus und Numa) und auf die ersten Bücher des Geschichtswerks des Livius verwiesen werden. Wir können hier nur darlegen, was man wenigstens an Grundtatsachen sagen oder jedenfalls vermuten kann.
 
Dass Rom auf sieben Hügeln erbaut worden wäre — Kapitol, Aventin, Caelius, Esquilin, Palatin, Viminal und Quirinal — ist, wie die Siebenzahl der Könige, ebenfalls eine nachträgliche und etwas gezwungene Version, die der Faszination durch die magische Zahl Sieben zu verdanken ist. Die frühesten Siedlungen befanden sich dort, wo auch später das Zentrum Roms lag, nämlich auf dem Palatin und dann in der Talsenke, dem Forum. Wann und wie diese Siedlungen einen solchen Qualitätssprung gemacht haben, dass man von einer Stadtgründung sprechen kann, ist Definitionssache. Sie soll nach der späteren römischen Tradition durch Romulus stattgefunden haben, und weil das Jahr dieses angeblichen Gründungsaktes nach christlicher Zeitrechnung auf das Jahr 753 v. Chr. fällt, hat sich das eingebürgert, ist jedoch genauso unbeweisbar wie die gesamte Sagentradition.
 
Dass die Siedlung am Tiberufer überhaupt Könige gehabt hat, ist allerdings eine Tradition, die alles für sich hat, und dass die späteren Könige der Siebenerreihe, also die Tarquinier, Etrusker waren, hat ebenfalls eine hohe Wahrscheinlichkeit. Denn zahlreiche typisch römisch aussehende Institutionen sind etruskisch: Schon der dreiteilige römische Name gehört dazu — Vorname (praenomen), Familienname oder Gentilname (nomen gentile), Beiname (cognomen) —, dann etwa die Insignien des höchsten Beamten wie das Purpurgewand oder die Liktorenbündel (fasces) oder die zu einer Wissenschaft ausgebaute Kunst der Weissagung, die noch in historischer Zeit von den Römern disciplina etrusca genannt wurde; und es ist sogar wahrscheinlich, dass der Name Rom etruskisch ist und ursprünglich Ruma gelautet hatte. Etruskisch ist schließlich auch die sakrale Eingrenzung der eigentlichen Stadt durch eine heilige Stadtgrenze, das pomerium, innerhalb derer kein militärisches Kommando ausgeübt werden durfte und die in Rom erst durch Sulla in der späten Römischen Republik erweitert wurde.
 
Die voretruskische Bevölkerung Roms aber war indogermanischer Herkunft. Schon das Wort für König, rex, ist indogermanisch und lebt in unserem Wort »regieren« weiter. Die Bevölkerung Roms war so gegliedert, dass sie sich aus großen Geschlechtern mit ihrem Anhang zusammensetzte, den gentes, die man am besten als Geschlechter von Großbauern bezeichnen kann, mehr waren sie nicht. So bestand ihr Anhang zum Teil aus freien einzelnen Bauern, teils vielleicht auch aus unfreien Hörigen, die clientes (Klienten) genannt wurden. Die Häupter der großen Familien hießen patres (Väter), und daher hatten die Angehörigen dieser Familien den Namen patricii (Patrizier). Sie traten im Rat der Alten zusammen, dem Senat (von senex: Greis), der über die wichtigsten Staatsangelegenheiten beriet und den der König befragte, ohne an sein Votum gebunden zu sein. Wieder etruskisch ist, jedenfalls hinsichtlich der Bezeichnungen, die gentilizische Großeinteilung des römischen Volkes in die drei Stämme oder tribus der Ramnes, Tities und Luceres. Eine indogermanische Bezeichnung hat schließlich die Volksversammlung, mit dem Plural comitia benannt. Diese Komitien waren in 30 Kurien (curiae) gegliedert. Sie standen unter der Leitung der großen Familien und hatten in sakralen und Familienangelegenheiten ein entscheidendes Wort mitzureden. Der Platz des Zusammenkommens war das Comitium an der Nordwestecke des Forum Romanum unterhalb des Kapitolshügels.
 
Besonders sagenumwoben ist der Sturz des Königtums und die Begründung der Republik. König Lucius Tarquinius Superbus herrschte als Tyrann, und sein Sohn Sextus Tarquinius tat es ihm gleich, indem er die Ehefrau des Lucius Tarquinius Collatinus, Lucretia, vergewaltigte. Sie forderte ihren Mann, Publius Valerius Poplicola und Lucius Iunius Brutus zur Rache auf und beging dann Selbstmord. 510 oder 509 v. Chr. wurde dann durch diese drei der König gestürzt. In Wirklichkeit dürfte der Sturz des etruskischen Königtums mit dem Erstarken der patrizischen Geschlechter im Inneren und dem Zurückgehen der etruskischen Macht im Allgemeinen zu tun haben, und möglicherweise ist die etruskische Niederlage in der Seeschlacht von Kyme 474 v. Chr. gegen Hieron I. von Syrakus der letzte Anstoß für die Befreiung Roms von den Etruskern und vom Königtum gewesen.
 
Roms Kriege gegen die Völker Italiens, gegen die Gallier und gegen Pyrrhos von Epirus
 
Nun folgen zunächst einmal Kriege über Kriege. Außer den Etruskern bedrängten auch die Bergstämme der Äquer und Volsker die Stadt Rom und das sie umgebende Latium, und später kamen die Samniten hinzu. Es bestand aber noch eine zweite Front, und zwar im Norden, zu Etrurien hin, wo die beiden Städte Caere und Veji in ständigem erbittertem Krieg mit Rom lagen. Veji wurde zu Beginn des 4. Jahrhunderts v. Chr. eingenommen und dem römischen Territorium eingegliedert. Rom war auf dem besten Wege, aus einer unbedeutenden Landstadt zur regionalen Vormacht zu werden. Da kam die Katastrophe des Galliereinfalls. Unter dem Häuptling Brennus zog der Stamm der Senonen durch Norditalien und Etrurien und traf am 18. Juli 387 bei dem kleinen Fluss Allia, heute Fosso di Bettina, nördlich von Rom auf das römische Heer, das vollständig geschlagen wurde — dieser Tag ist als der dies ater (der Schwarze Tag) in die Geschichte Roms eingegangen. Rom wurde evakuiert und von den Kelten kampflos eingenommen und brannte aus; das Kapitol, der religiöse und politische Mittelpunkt der Stadt Rom, wurde angeblich sieben Monate lang belagert, dann zogen die Gallier gegen ein Lösegeld wieder ab. Als es abgewogen wurde, legte nach der Sage Brennus noch sein Schwert in die Waagschale und antwortete auf den römischen Protest nur: »Vae victis!« (Wehe den Besiegten!).
 
In der Folgezeit erholte sich Rom einigermaßen schnell. Gegen 370 v. Chr. wurde durch (den in der Überlieferung über 100 Jahre früher datierten) Spurius Cassius Vecellinus ein Bündnisvertrag, das nach ihm benannte foedus Cassianum, geschlossen, das Rom und den Latinern eine gemeinsame Außenpolitik brachte und den Latinern das conubium und das commercium gewährte, also das Recht, mit römischen Bürgern legitime Ehen zu schließen und gleichberechtigt am Handels- und Rechtsverkehr teilzunehmen. Der Latinerkrieg von 340 bis 338 brachte einen Rückschlag, aber im Ergebnis wurden Latium und auch Kampanien vollständig römisch. Nach der Eroberung der volskischen Seestadt Antium führten die Römer Schiffsschnäbel der Flotte Antiums als Beute nach Rom und befestigten sie als Zeichen des Sieges an der Vorderseite der am Comitium gelegenen Rednertribüne, die seitdem die Bezeichnung für Schiffsschnäbel, rostra, führt.
 
Die Samniten bedrängten weiterhin aus den Bergen die fruchtbaren Ebenen, sodass nun auch die dortigen Griechenstädte sich lieber von Rom schützen lassen wollten, als von den Samniten oskisiert zu werden. Neapel bat 326 um Hilfe, und Rom kam vor allem deshalb, weil es im samnitischen Vordringen eine langfristige Gefahr auch für sich sah. Nach einem in seiner Historizität bestrittenen 1. begann jetzt der 2. Samnitenkrieg. Seine erste Phase verlief für Rom katastrophal, weil es mit seiner starren Kampfesweise der Schlachtreihe nicht für den Bergkrieg gerüstet war. 321 wurden die Römer bei Caudium südlich des späteren Benevent so vollständig von den Samniten lahm gelegt, dass sie sich auf einen schmachvollen freien Abzug einlassen mussten. Jeder einzelne römische Soldat war gezwungen, unter einem aus drei Speeren gebildeten Joch hindurchzugehen, wodurch sich das Heer in aller Form den Samniten unterwarf.
 
Dieses sprichwörtlich gewordene Kaudinische Joch verstärkte allerdings nur den römischen Drang, die Samniten ein für alle Mal auszuschalten, und als 316 wieder ein Hilferuf erging, diesmal von den noch weiter entfernten Apulern, wurde der Krieg wieder aufgenommen. Inzwischen war eine Heeresreform in die Wege geleitet worden, die die starre Schlachtreihe durch die beweglichere Taktik der kleineren Manipel und die ungefüge Lanze, die hasta, durch den handhabbareren Spieß, das pilum, ersetzte. Vor allem aber setzte Rom jetzt verstärkt ein schon bisher probates Mittel ein, nämlich die Gründung von coloniae (eingedeutscht Kolonien), Wehrsiedlungen an der Grenze zu Samnium und sogar in dessen Rücken, die die Bewegungsfreiheit der Gegner zunehmend einschränkten. 312 baute zudem der Zensor Appius Claudius Caecus eine befestigte Straße von Rom nach Südosten, um Truppenverschiebungen leichter bewerkstelligen zu können, die heute noch existierende nach ihm benannte Via Appia. Rom schloss 304 v. Chr. wieder einen Frieden des Status quo.
 
298 riefen die Lukaner Rom gegen die Samniten zu Hilfe, und so brach 298 der 3. — und letzte — Samnitenkrieg aus. Er verlief erbitterter, aber im Ergebnis so wie der vorhergehende, und schloss 291 v. Chr. mit einem letzten Frieden. Verschärft wurde er jedoch dadurch, dass die alten Feinde Roms, die Etrusker, die Kelten und die Sabiner, ebenfalls gegen Rom zogen, das also an mehreren Fronten zugleich zu kämpfen hatte. Diese Kämpfe zogen sich bis 280 hin, und ihr Ergebnis war die Eingliederung Etruriens in das römische Herrschaftsgebiet sowie die Vertreibung der gallischen Senonen aus dem Gebiet zwischen Ariminum (Rimini) und Ancon Dorica (Ancona), ager Gallicus genannt, die heutige italienische Provinz der Marken. Rom war zur stärksten Macht Italiens geworden, und so hätte jetzt eine Phase der Konsolidierung einsetzen können. Aber nun kam sofort eine neue militärische Herausforderung, diesmal von außerhalb Italiens.
 
Tarent, das sich mit Rom überworfen hatte, rief den Dynasten Pyrrhos von Epirus nach Italien, der auf der Suche nach einem Königreich war, und er erschien mit einem Heer, bei dem sich auch zwanzig Kriegselefanten befanden, Restbestände des Kontingents, das der indische König Candragupta Maurya dem Seleukos I. Nikator gegeben hatte.
 
Die Römer verloren eine Schlacht nach der anderen, und Pyrrhos kam bis auf 60 km an Rom heran. Aber zum einen waren Pyrrhos' Siege auch für ihn ungeheuer verlustreich — daher eben der sprichwörtlich gewordene Ausdruck Pyrrhussiege —, und zum anderen trat der Effekt nicht ein, den er sich nach seinen Erfahrungen im Osten vorgestellt hatte: Die römischen Bundesgenossen fielen nicht ab. Da er zudem auch wohl ein etwas unsteter Geselle war, kam ihm ein weiterer Hilferuf sehr gelegen. Auf Sizilien sahen sich die dortigen Griechenstädte nach Unterstützung gegen die Karthager um. Tatsächlich eroberte Pyrrhos fast die gesamte Insel, erschien aber nach politischen Misserfolgen wieder in Italien. Die Römer hatten sich inzwischen mit seiner Art der Kriegführung vertraut gemacht und erlitten 275 v. Chr. in der Schlacht bei Maleventum im Süden Samniums wenigstens keine Niederlage; ihre Interpretation machte aus diesem Unentschieden einen Sieg, sie tauften die Stadt entsprechend um, und seitdem heißt sie Beneventum (Benevent). 274 ging Pyrrhos wieder nach Griechenland, glaubte nun dort ein Königreich zu gewinnen und fiel 272 bei einem Straßenkampf in Argos.
 
Rom und die Sicherung Italiens
 
Rom beherrschte jetzt Italien, und während wir bisher in einer ununterbrochenen Abfolge von Kriegen schon fast geschwelgt haben, ist es endlich an der Zeit, einen Blick hinter diese äußeren Daten und Ereignisse zu werfen und zu fragen, wie denn diese militärischen Vorgänge politisch zustande gekommen und verarbeitet worden sind.
 
Die früheste, unmittelbarste und rigoroseste Art, mit Besiegten umzugehen, war die Annexion. Das Land wurde römisches Territorium, die Bewohner wurden römische Bürger, und Teile des annektierten Landes wurden Römern viritim, also Mann für Mann, einzeln angewiesen, daher hieß das Viritanassignation. Die bisher selbstständigen Städte wurden belassen, hatten eine beschränkte Selbstverwaltung und mussten im Übrigen alle Lasten tragen (munus capere), woraus sich die Bezeichnung municipium entwickelt hat.
 
Mit der Ausdehnung des römischen Staatsgebietes verloren derartige Eingemeindungen aus verschiedenen Gründen ihre Praktikabilität. Die römische Herrschaft war streckenweise so instabil, dass sie dauerhaft militärisch gesichert werden musste, und das geschah durch die Ansiedlung römischer Bürger in geschlossenen Ortschaften. Dieser kollektive Vorgang war keine Viritanassignation mehr, und die Neusiedler stellten als Teile des römischen Heeres eine Art permanenter und dabei sehr wirksamer Besatzung dar. Eine solche Ansiedlung hieß colonia (von colere: das Land bebauen), und dieser Typ der Kolonie, also die colonia civium Romanorum, wurde in der Nähe Roms, vor allem an der Küste eingerichtet, wo die mögliche Bedrohung als besonders intensiv empfunden wurde; die wichtigsten derartigen Kolonien waren Ostia und Antium.
 
Aber auch hier wirkte sich bald das Faktum der immer größeren Entfernung von Rom aus, die es unzweckmäßig erscheinen ließ, römische Vollbürger anders als in Rom und in seiner näheren Umgebung siedeln zu lassen. Solchen immer weiter von Rom auf römischem Staatsland gegründeten Kolonien wurde eine Variante des römischen Bürgerrechts gegeben, die der entsprach, die die früheren Neugründungen bekommen hatten, welche Rom mit den Latinern zusammen unternommen hatte. Sie hatten volle Rechtsgemeinschaft mit Rom (conubium, commercium), waren aber sonst selbstständige Städte mit eigenem Bürgerrecht, das allerdings eine entscheidende Einschränkung erhielt: Jeder Angehörige einer solchen colonia Latina bekam in dem Augenblick das volle römische Bürgerrecht (wieder), wenn er (wieder) nach Rom zog (und einen Sohn in der Kolonie hinterließ). Diese latinischen Kolonien sind das eigentliche Herrschaftsinstrument Roms über Italien geworden; Cicero nannte sie »Bollwerke der römischen Herrschaft«.
 
Die meisten Städte Italiens aber blieben selbstständig, es wurde ihnen ein Teil ihres Territoriums entzogen, und Rom schloss mit ihnen Bündnisverträge, foedera. Ein solches foedus wurde je nach dem Verhalten der Stadt unterschiedlich ausgestaltet (foedera aequa oder iniqua: gleiche oder ungleiche Bündnisse); immer aber verpflichtete es die Stadt, keine eigene Außenpolitik zu betreiben und im Kriegsfall, den ausschließlich Rom feststellen durfte, Rom Heeresfolge zu leisten. Jede verbündete Stadt hatte ihre kriegstauglichen Männer nach Rom zu melden, wo sie in einer großen Liste zusammengefasst waren.
 
Das römische Bundesgenossensystem — auch Wehrgenossenschaft genannt — ist also ein Gebilde, das erst allmählich und nur dadurch entstanden ist, dass auf aktuelle Herausforderungen aktuelle Antworten gefunden werden mussten. So war gegen das letzte Viertel des 3. Jahrhunderts v. Chr. etwa die folgende Situation entstanden: Das Kerngebiet der römischen Herrschaft, das römische Staatsland — der ager Romanus —, erstreckte sich wie ein Block quer über Mittelitalien, vom Tyrrhenischen bis zum Adriatischen Meer, im Südwesten (Kampanien) und Nordosten (ager Gallicus) noch ein Stück weiter an der Küste entlang. An seinen Rändern — und im Fall von Luceria, Venusia und dem 244 v. Chr. angelegten Brundisium sogar darüber hinaus — war es eingerahmt und gesichert von Kolonien latinischen Rechts. Die Städte außerhalb dieses Machtblocks waren sämtlich mit Rom verbündet, und diese abgestufte, ineinander greifende, aber im Entscheidenden, nämlich im Militärischen, kompromisslose Organisation hielt gerade wegen dieser politischen klugen Ausdifferenziertheit fest zusammen.
 
 Die Plebejer streiken — Der Ständekampf
 
Nach dem Sturz des Königtums herrschte der patrizische Adel, und an die Stelle des Königs trat als Oberbeamter der Prätor, der praetor maximus. Aus der Etymologie des Wortes — praeitor: der, der vorangeht — ist zu schließen, dass das Amt vorwiegend militärischen Charakter hatte, ähnlich wie bei dem deutschen Wort »Herzog«. Wie in Adelsstaaten üblich, wo jeder Adlige eifersüchtig darauf achtete, dass die Standesgenossen nicht zu viel Macht anhäuften, war seine Amtsdauer auf ein Jahr beschränkt.
 
Aber der Adel missbrauchte seine Macht, und dagegen griffen die Plebejer zum einen zu einem Mittel, das mit Recht darauf baute, dass der gemeinsame Staat auf ihre Mitwirkung angewiesen war, und sei es nur in ihrer Rolle als Soldaten. Dieses Mittel war die Verweigerung, heute Streik genannt: Die Plebejer zogen aus, auf den Aventin, einen sakral geschützten Berg. Dort befand sich ein Tempel der römischen Göttin Ceres, in dessen Schutz sie sich begaben. Die nötige Organisation schufen die Plebejer zunächst dadurch, dass sie sich eigene Ämter gaben, die ihre Bezeichnung von dem Tempel (aedes), erhielten; sie wurden also aediles, Ädile, genannt. Zum anderen gaben sie ihren Zusammenkünften eine Form, vielleicht in Anlehnung an die staatliche Volksversammlung. Während diese aber noch nach Kurien zusammentrat, trat die Menge der Plebejer, die plebs, nach geographischen Bezirken zusammen, nach tribus, die hier also nicht mehr die alten gentilizischen tribus waren. Diese Versammlung wurde die concilia plebis genannt, ihre Beschlüsse hießen »Meinungsäußerungen der plebs« (plebis scita).
 
Der wichtigste Beschwerdepunkt waren die Übergriffe der patrizischen Magistrate gewesen, und dagegen half nur konkretes Vorgehen. Die plebs schuf sich daher ein weiteres Amt, und die Inhaber dieses Amtes, die Volkstribunen (tribuni plebis), hatten die Aufgabe, in allen Fällen, in denen ein Plebejer von einem patrizischen Magistraten körperlich gezüchtigt werden sollte, gewaltsam dazwischenzutreten und den Plebejer dem Patrizier zu entreißen. Dazwischentreten heißt intercedere, daher brauchte der Volkstribun später nur intercedo (ich trete dazwischen) oder veto (ich verbiete) zu sagen, und der Magistrat musste von dem Plebejer ablassen. Die Volkstribunen wurden durch einen Eid mit sakraler Unverletzlichkeit ausgestattet (sacrosanctitas), sodass sie ohne Bedenken dieses Hilferecht (ius auxilii) ausüben konnten.
 
Im militärischen Bereich wurde die Mitbestimmung der Fußsoldaten erreicht, die sich ja auf eigene Kosten bewaffnen mussten. Ihr Mitbestimmungsrecht betraf die Grundfragen, ob überhaupt gekämpft beziehungsweise Frieden geschlossen werden und wer das Kommando führen sollte. Darüber zu beschließen wurde irgendwann im 5. Jahrhundert v. Chr. Sache des Heeres. Das Heer war in Hundertschaften eingeteilt (centuriae), und so entstand eine zweite Art der Volksversammlung neben den bereits erwähnten comitia curiata (Kuriatkomitien), nämlich die comitia centuriata (Zenturiatkomitien). Weil innerhalb des pomeriums keine Waffen getragen werden durften, traten die Zenturiatkomitien auf der anderen Seite des Kapitolshügels zusammen, auf dem Marsfeld, und bis zum Ende der Römischen Republik entschieden die Zenturiatkomitien über Krieg und Frieden und wählten die Magistrate mit militärischer Kompetenz.
 
Die Selbstorganisierung der plebs und die Schaffung der Zenturiatkomitien waren Akte des Volkes, mit denen es sich schützte und die ihm Mitbestimmung einbrachten. Sie hatten aber noch nicht die gesamte Mitwirkung erbracht, modern ausgedrückt nur das aktive, nicht das passive Wahlrecht. Aber auch dieses wurde erstritten, und nach der Gallierkatastrophe, die ja, so konnte jedenfalls argumentiert werden, auch durch ein Versagen der Patrizier mitverursacht war, wurde die Frage des militärischen Oberbefehls und der Beteiligung der Plebejer neu geregelt. An die Stelle des einen Oberbeamten, des Prätors, traten nun zwei Konsuln, von denen der eine ein Plebejer sein konnte, und wahrscheinlich ist der Name dieser Oberbeamten, consules, weniger aus dem Wort consulere (beraten, Maßnahmen treffen) entstanden, sondern aus consalire (zusammenspringen, zusammenwirken), denn von nun an konnten gültige Amtshandlungen nur beide zusammen ausführen; jedenfalls durfte der eine Konsul der Amtshandlung seines Kollegen nicht widersprechen, wenn sie gültig bleiben sollte. Der Überlieferung nach sollen 367 v. Chr. zwei Volkstribune, Gaius Licinius Stolo und Lucius Sextius Sextinus Lateranus, entsprechende Gesetze zur Verabschiedung gebracht haben, die Licinisch-Sextischen Gesetze. Der Prätor stieg in der Rangfolge ab. Seine Kompetenz wurde die Gerichtsbarkeit, aber an seine frühere Position erinnerte immer die Tatsache, dass er Inhaber des imperiums blieb, also des Rechtes, Truppen zu kommandieren, und dass er in den Zenturiatkomitien gewählt wurde. Schließlich wurde als patrizisches Gegengewicht für die plebejischen Ädilen das Amt zweier kurulischer Ädilen mit innerstädtischer Polizeigewalt geschaffen.
 
Im Jahr 300 v. Chr. ergingen zwei Gesetze, die die Rechtsstellung der Plebejer letztmalig verbesserten. Durch eine lex Valeria de provocatione wurde bestimmt, dass kein römischer Bürger mehr durch einen Magistraten endgültig zum Tode verurteilt werden durfte, sondern dass der Verurteilte immer die Volksversammlung, die Zenturiatkomitien, anrufen durfte; und eine lex Ogulnia bestimmte, dass Plebejer nun auch Zutritt zu den Priesterämtern der pontifices und der Auguren bekamen; bei dieser Gelegenheit spätestens ist auch das Eheverbot zwischen Patriziern und Plebejern aufgehoben worden. Den Abschluss bildete die Schaffung einer dritten Art der Volksversammlung, der comitia tributa (Tribuskomitien). Das war das nach tribus, also nach geographischen Kriterien zusammengetretene Volk. Es gab vier städtische tribus, und es kamen immer mehr ländliche hinzu. 241 v. Chr. waren es dann insgesamt 35. Eine lex Hortensia von 267 v. Chr. stellte die Beschlüsse der concilia plebis denen der Tribuskomitien gleich. Sie unterschieden sich ja nur dadurch, dass in der Plebsversammlung die Patrizier fehlten, deren Anzahl völlig unerheblich war.
 
Die Zulassung der Plebejer zu den Staatsämtern führte nicht zu einer völligen Durchlässigkeit der römischen Gesellschaft, obwohl es, ganz äußerlich betrachtet, jetzt jeder Römer bis zum Konsul bringen konnte. Das Ergebnis war vielmehr, dass sich jetzt ein neuer Adel herausbildete, der aus den alten Patriziern und denjenigen Plebejerfamilien bestand, die bis in die Staatsspitzen vordringen konnten. Das waren nicht allzu viele, sondern ein im Laufe der Zeit einigermaßen fest umgrenzter Kreis. Sie saßen als ehemalige oder amtierende Magistrate — seit dem 3. Jahrhundert v. Chr. einschließlich der Volkstribune — zusammen mit ihren Kollegen aus dem Patrizierstand im Senat, und deshalb erhielt diese neue, aus Patriziern und Plebejern zusammengesetzte Adelsschicht die Bezeichnung ordo senatorius (Senatorenstand oder Senatsaristokratie).
 
Das monarchische Element der römischen Verfassung
 
Wenn man sich nach diesem historischen Schnellüberblick überlegt, wie man die politischen Organe gliedern soll, dann bietet sich die Gliederung an, die die griechische Staatstheorie an Verfassungen angelegt hat. Insbesondere Polybios hat das mit der römischen Verfassung getan und war erstaunt, in ihr wirklich das zu finden, was sich die griechischen Denker als theoretisches Idealbild einer Verfassung vorgestellt hatten, nämlich eine ausgewogene Mischung zwischen monarchischen, aristokratischen und demokratischen Elementen. Wir fangen mit dem monarchischen Element an und versetzen uns in die Lage eines jungen aristokratischen Römers, der — wie fast alle seines Standes — die politische Karriere einschlagen will, und folgen ihm auf dieser Laufbahn so, wie sie durch ein Gesetz des Jahres 180 v. Chr. festgelegt war.
 
Nach seiner Ausbildung, die er vor allem von Privatlehrern erfahren hatte, hatte der junge Mann mit der Volljährigkeit, also mit 18 Jahren, ins Heer einzutreten. Er diente dort zehn Jahre lang als Stabsoffizier (Militärtribun), und dieser Heeresdienst, der meistens eine Teilnahme an wirklichen Kriegen war, prägte den adligen Römer sein ganzes Leben. Danach konnte er sich erstmals zur Wahl in eines der höheren Ämter stellen, in die Quästur. Ein Quästor war als Gehilfe höherer Magistrate gedacht, vornehmlich in der Finanzverwaltung.
 
Die Ädilität war das nächsthöhere Amt, das er nach dieser Regelung frühestens mit 37 Jahren innehaben konnte. Die Aufgaben der vier Ädilen waren die Aufsicht über die öffentliche Ordnung in der Stadt Rom, auch über die Märkte, und die Abhaltung religiöser Feierlichkeiten, wozu auch die Ausrichtung öffentlicher Spiele gehörte. Das nächste Amt war die Prätur, die er frühestens im Alter von 40 Jahren erhalten durfte. Es gab die beiden Gerichtsprätoren, den praetor urbanus, der mit der Aufgabe der Rechtsprechung zwischen römischen Bürgern betraut war, und den praetor peregrinus, dessen Aufgabe die Rechtsprechung zwischen römischen Bürgern und Nichtbürgern war. Zu diesen zwei Prätoren kamen später vier weitere hinzu, die als Provinzstatthalter fungierten; am Ende der Republik waren es acht. Prätoren wurden von den Zenturiatkomitien gewählt, sie hatten, was sie als Statthalter auch brauchten, das imperium, also die staatliche Vollgewalt, die sie auch zur Führung militärischer Kommandos befähigte.
 
Mit frühestens 43 Jahren konnte man dann Konsul werden, ebenfalls durch Wahl in den Zenturiatkomitien. Das Konsulat war das höchste Amt im Staat und wurde von zwei Männern bekleidet, nach denen das Jahr benannt wurde (C. Iulio Caesare M. Calpurnio Bibulo consulibus — das Jahr, in dem Gaius Iulius Caesar und Marcus Calpurnius Bibulus Konsuln waren: 59 v. Chr.). Den Konsuln gingen zwölf Liktoren voraus (den Prätoren sechs), die die fasces trugen, Rutenbündel, in denen eine Axt steckte, ein Zeichen der absoluten Gewalt.
 
Drei weitere Ämter standen außerhalb dieser Regellaufbahn, des cursus honorum. Die zehn Volkstribunen wurden nicht von den Komitien, sondern von den concilia plebis gewählt, Patrizier konnten dieses Amt nicht bekleiden, und es war auch keine Voraussetzung dafür, dass man in ein höheres Amt gewählt wurde. Die beiden Zensoren wurden von den Zenturiatkomitien gewählt, und ihr Amt war in gewisser Weise die Krönung einer Politikerlaufbahn, wenn es auch an staatlicher Kompetenz nicht über, sondern sozusagen neben dem Konsulat stand. Die Zensoren hatten nämlich keine allgemeine Befehlsgewalt, sondern nur zwei bestimmte Aufgabenkreise. Der eine war die lectio senatus, also die Bestimmung darüber, wer Mitglied des Senats war, die andere war die Vergabe von Staatsaufträgen, also etwa für die Errichtung öffentlicher Bauten wie Wasserleitungen und Straßen oder für die Belieferung der Heere mit Proviant und sonstigen Ausrüstungsgegenständen. Die Zensoren hatten eine Amtszeit von fünf Jahren, schlossen ihre Tätigkeit aber gewöhnlich nach rund anderthalb Jahren ab. Das dritte Amt ist das Notstandsamt des Diktators; er wurde auf Vorschlag des Senats von einem Konsul für sechs Monate zur Behebung eines konkreten Notstands ernannt; ab etwa 200 v. Chr. fand das nicht mehr statt.
 
Allen Ämtern, mit Ausnahme der irregulären des Zensors und des Diktators, war die Amtsdauer von einem Jahr gemeinsam; von annus (das Jahr) sich herleitend, heißt dieses Prinzip »Prinzip der Annuität«. Ebenso gemeinsam war ihnen, dass sie — wieder mit der aus dem Zweck folgenden Ausnahme des Diktators — mit mehreren Inhabern besetzt waren; das ist das »Prinzip der Kollegialität«. Weiter war es in der Regel so, dass jedes Amt nur einmal bekleidet werden durfte (Verbot der Iteration, das heißt der Wiederholung). Und schließlich durften nicht mehrere Ämter gleichzeitig innegehabt werden, es bestand also das Verbot der Kumulation. Alle diese Regelungen sollten verhindern, dass das Amt dem Inhaber zu viel Macht gebe, und alle waren Prinzipien, wie sie sich in einer Adelsgesellschaft herausbilden, in der die Standesgenossen streng darauf achten, dass keiner der ihren sich über die anderen erhebt.
 
Besonders charakteristisch und fein ausgebaut war das Prinzip der Kollegialität. Es bedeutete nicht nur, dass es zwei gleichberechtigte Inhaber für ein bestimmtes Amt gab, es bedeutete darüber hinaus auch, dass jeder Amtsinhaber jede Amtshandlung des anderen verbieten konnte mit der rechtlichen Wirkung, dass sie durch Erheben des Widerspruchs als nicht erfolgt galt. Dieses Verbot geschah durch das Wort veto (ich verbiete) oder durch intercedo (ich trete dazwischen, ich verhindere). Das Verbotsrecht bestand aber nicht nur innerhalb eines kollegial besetzten Amtes, sondern auch hierarchisch von oben nach unten. Jeder Inhaber eines übergeordneten Amtes konnte die Amtshandlung eines Magistraten eines darunter stehenden Amtes verbieten. Insbesondere deshalb, und nicht wegen der Reihenfolge, in der man für Ämter kandidieren musste, kann von höheren und niedrigeren Ämtern gesprochen werden; nur die Volkstribunen konnten außerhalb dieser Hierarchie gegen sämtliche anderen Ämter interzedieren, also bis hin zu den Konsuln.
 
Das aristokratische Element der römischen Verfassung: Der Senat
 
Das aristokratische Element war der Senat. Er setzte sich aus den amtierenden und allen ehemaligen Magistraten zusammen, einschließlich der Volkstribunen, und demgemäß hatte er keine feste Mitgliederzahl, umfasste aber regelmäßig rund 300 Mann. Senatsmitglied wurde man aber nur mit dem Votum der Zensoren, das so aussah, dass die Zensoren zu Beginn ihrer Amtszeit die Liste der Senatsmitglieder verlasen. Wer bei dieser lectio senatus nicht genannt wurde, war entweder nicht aufgenommen oder, wenn er bisher Senator gewesen war, ausgestoßen. Das geschah wegen schweren Fehlverhaltens, war aber natürlich nicht die Regel; die Regel war die Aufnahme während der Amtszeit als staatlicher Magistrat. Die Kompetenzen des Senats waren nichtrechtlicher Natur, rechtlich war er ein rein beratendes Gremium; seine Beschlüsse hießen daher senatus consulta (Ratschläge des Senats).
 
Freilich war es keinem Beamten anzuraten, sich gegen den Senat zu stellen. Der Senat war nämlich gesellschaftlich die Versammlung der großen regierenden Familien, und wer sich ihnen widersetzte, lief Gefahr, zum letzten Mal Politik betrieben zu haben. Entsprechend aristokratisch gingen die Beratungen vor sich, nämlich unter genauer Beachtung des politisch-gesellschaftlichen Prestiges der Senatoren. Der sitzungsleitende Beamte berichtete in einer relatio über das zu beratende Problem, stellte einen entsprechenden Antrag, und dann wurden die Senatoren ihrem Range gemäß befragt, äußerten also ihre Meinung (sententia) in einer ganz bestimmten Reihenfolge. Zuerst kamen die Konsulare an die Reihe, also die ehemaligen Konsuln, und zuallererst diejenigen unter ihnen, die auch Zensoren gewesen waren, dann bestimmte sich die Reihenfolge nach dem Amtsalter; nach den Konsuln die Prätorier, die Ädilizier, die ehemaligen Volkstribunen und die Quästorier — aber in aller Regel kam es nicht dazu, dass nun alle, womöglich bis zu den niedrigsten Rängen hin, ihre Meinung sagten. Es genügte, wenn sich die Senatoren mit der höchsten auctoritas, dem höchsten politischen Prestige, geäußert hatten, dann wurde abgestimmt, und zwar durch Auseinandertreten. Die minderen Herren, die nichts gesagt hatten, traten nur stumm auf die Seite, die sie bevorzugten.
 
Das demokratische Element der römischen Verfassung: Die Volksversammlungen
 
Das demokratische Element bildeten natürlich die verschiedenen Arten der Volksversammlungen. Die Kuriatkomitien können wir wegen ihrer Bedeutungslosigkeit vernachlässigen, aber was bisher über die Zenturiatkomitien gesagt wurde, muss noch erheblich modifiziert werden. Ihr Ursprung war zunächst ganz einfach der gewesen, dass sie das in Hundertschaften aufmarschierte römische Bürgerheer darstellten, das über Krieg und Frieden und über die Wahl der Imperiumsträger entschied. Ihre Zusammensetzung änderte sich jedoch erheblich. Zum einen übernahmen diese Komitien nicht die organisatorische Weiterentwicklung des Heeres, etwa die Manipeltaktik, sondern verharrten bei der Einteilung in Zenturien. Zum Zweiten änderte sich auch die Zusammensetzung der Zenturien.
 
Die ursprüngliche Heeresgliederung hing ja dergestalt eng mit der Vermögenslage des einzelnen Bürgersoldaten zusammen, dass sein Vermögen auch seine Stellung im Heer bestimmte. Je wohlhabender er war, umso höher war sein Rang, weil eine bessere Vermögenslage auch eine bessere Ausrüstung zur Folge hatte. So stellten die Angehörigen der höchsten Vermögensklasse die teure Reiterei, und dann ging es hinunter über die Fußsoldaten bis zu den capite censi, den nur nach Köpfen Veranlagten, die also außer ihrer Existenz nichts weiter einzubringen hatten. Da nun die Einteilung in die verschiedenen Zenturien — 193 waren es — sich gleich blieb und sich von der konkreten Heeresgliederung löste, kam es dazu, dass die oberen Zenturien weitaus weniger und die unteren weitaus mehr Mitglieder hatten als exakt hundert. Da nun zunächst innerhalb einer Zenturie abgestimmt wurde und nicht die einzelnen Mitglieder der Volksversammlung, sondern nur die Stimmen der Zenturien gezählt wurden, wogen die Einzelstimmen in den Zenturien mit wenigen Mitgliedern weit mehr als die der unteren. Zudem wurde von oben nach unten abgestimmt, das heißt, dass die oberste Reiterzenturie zuerst ihre Stimme abgab, dann die zweite und so fort, und die Abstimmung wurde abgebrochen, wenn eine Mehrheit von Zenturien zusammen war.
 
Auch bei den Tribuskomitien, die nach Wohnsitz, also einem auf den ersten Blick neutralen Kriterium, gebildet waren, machten sich Verschiebungen bemerkbar. Einmal war die Zugehörigkeit zu einer tribus erblich, sodass das Kriterium des Wohnsitzes allmählich verwischt wurde. Dann ist der bloße Wohnsitz doch kein so ganz neutraler Gesichtspunkt, denn in bestimmten Gegenden lebten, wie ja auch heute noch, teils eher wohlhabende, teils eher bedürftige Leute. Schließlich konnte im Laufe der Zeit bei Bürgerrechtsverleihungen größeren Ausmaßes manipuliert werden: Wenn, wie am Ende des Bundesgenossenkrieges in der späten Republik, größeren Bevölkerungsgruppen eher widerwillig das Bürgerrecht verliehen werden musste, schrieb man sie in die vier städtischen tribus ein, obwohl sie da gar nicht wohnten, und auf diese Weise war der Zustrom von Neubürgerstimmen neutralisiert, weil sie ja allenfalls das Ergebnis innerhalb der vier städtischen, nicht aber die Überzahl der 31 ländlichen tribus beeinflussen konnten.
 
Es gab weitere Einschränkungen. Die Versammlungsleitung lag bei den amtierenden Magistraten, nur sie stellten die Anträge, und nur sie präsentierten die Kandidaten. Es konnte also kein beliebiger Bürger, wie in Athen, sich zu Wort melden und zur Sache reden oder gar sich oder jemand anderen zur Wahl in ein staatliches Amt stellen. Was die Angehörigen der verschiedenen Volksversammlungsarten nur konnten, war zuhören und abstimmen. Zudem war die Abstimmung offen, indem man sichtbar ein Täfelchen abgab, auf dem je nachdem VR oder A stand. VR bedeutete uti rogas (wie du beantragst), also ja, A bedeutete antiquo (ich spreche dagegen), also nein. Bei Wahlen wurde der Name des gewählten Mannes auf das Täfelchen geschrieben. Erst gegen Ende der Republik wurde die geheime Abstimmung eingeführt.
 
Trotzdem war es dann doch so, dass die wichtigen Entscheidungen hinsichtlich etwa von Krieg und Frieden, der Annahme oder Ablehnung von Gesetzen und der Bekleidung leitender politischer Stellungen nicht von der Aristokratie unter sich ausgemacht wurden, sondern dass das einfache Volk doch das letzte Wort hatte. Die Annahme der Anträge und der Erfolg der Kandidaturen waren keine Formalitäten. Wir wissen, wie heftig und aufreibend die Wahlkämpfe und die Agitation für und gegen bestimmte Gesetzesvorschläge waren; politische Karrieren und Projekte konnten fulminant scheitern, und enttäuschende Abstimmungsergebnisse fanden Jahr für Jahr statt. Demokratie herrschte nicht in Rom, aber es gab doch ein kräftiges demokratisches Element in der Verfassung.
 
Das Klientelwesen
 
Die Ursache für die Stärke des demokratischen Elements ist darin zu finden, dass sich zwischen der Senatsaristokratie und der nichtadligen gewaltigen Mehrheit des Volkes ein sozialpsychologisches Verhältnis herausbildete, das die Mittel- und Unterschicht fest an die Oberschicht band — das Klientelverhältnis. Zwischen einem sozial Mächtigen und einem niedriger Gestellten bestand eine gegenseitige Bindung, die jede Seite verpflichtete, dem anderen diejenigen Leistungen zuzuwenden, die dieser brauchte und die man selber erbringen konnte. Der Mächtige, patronus genannt, musste dem anderen, dem cliens, in wirtschaftlichen oder sonstigen Notlagen helfen; er musste ihn materiell unterstützen, für sein berufliches Fortkommen sorgen, ihn vor Gericht vertreten. Die Gegenleistung des Schwachen bestand ganz allgemein darin, zur Gefolgschaft des Patrons zu gehören, in ganz frühen Zeiten vielleicht mit ihm in den Krieg zu ziehen, in der entwickelten Republik aber darin, ihm in der Volksversammlung seine Stimme zu geben, sei es bei Wahlen oder bei Anträgen.
 
Je mehr Klienten ein Senator hatte, umso mächtiger war er. Er musste sich diese Stellung aber auch verdienen. Die Klientel vererbte sich zwar in den jeweiligen Familien, die traditionelle Zugehörigkeit des Klienten zu einer der großen Familien konnte aber dann aufgekündigt werden, wenn die jeweiligen Patrone sich nicht mehr kümmerten oder sonst untüchtig waren. Bei dem Anwachsen der römischen Bevölkerung und dem gleich bleibenden Umfang des Senatorenstandes war es im Laufe der Zeit nicht mehr möglich, dass sich jeder Senator um jeden einzelnen Klienten persönlich kümmerte. Diese Schwierigkeit wurde dadurch gemildert, dass sämtliche Angehörige der jeweiligen Senatorenfamilie zur Verfügung standen, wenn einem Klienten geholfen werden sollte; auch an die Frauen dieser Familien konnte man sich wenden, und es gibt Beispiele für effektive Hilfe, die von weiblicher Seite geleistet wurde. Trotzdem trat etwas ein, was »Vermassung der Klientel« genannt worden ist und was nur so bewältigt wurde, dass es Zwischeninstanzen von Personen gab, die nach unten Patron, nach oben Klient waren. Darüber hinaus war es auch üblich, dass sich ganze politische Einheiten, vor allem Städte, in die Klientel eines Senators begaben und von ihm betreut wurden.
 
Das auch emotional unterfütterte Klientelverhältnis befriedigte viele soziale und psychologische Bedürfnisse, die sich sonst einen Ausweg in direktem politischem Verhalten gesucht hätten. Man gehörte durch Generationen hindurch in die Klientel einer bestimmten Adelsfamilie, fühlte sich zugehörig, stimmte für sie, war stolz darauf, zu ihr zu gehören, von ihr unterstützt zu werden und ihr seinerseits seine bescheidene Hilfe angedeihen zu lassen. Mehr kam hinzu. Generell gesehen fuhr die Mittel- und Unterschicht auch materiell gut unter dem Regiment der Senatsaristokratie. Die wachsende Bevölkerung wurde in Italien entweder durch direkte Landzuweisung oder durch Ansiedlung in Kolonien wirtschaftlich sichergestellt, und obwohl fast ständig Krieg herrschte, wurden diese Kriege doch im Endergebnis immer gewonnen. Sie wurden unter dem Kommando adliger Befehlshaber und Offiziere durchgefochten, und diese gemeinsamen Bewährungsproben in Situationen, in denen es auf Tod und Leben ging, trugen das Ihre dazu bei, auch das gefühlsmäßige Band zwischen Oben und Unten zu festigen. Das Volk sah sich bei dem Senatorenstand gut aufgehoben, man bestand schwere Gefahren gemeinsam erfolgreich. Hoch und Niedrig fanden ihre Identität in dieser Verfassung, die dem Adel eine durch ständige Leistung zu bewährende Führung, dem Volk als ausreichend empfundene Mitwirkungsrechte überließ.
 
Prof. Dr. jur. Wolfgang Schuller
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Rom: Großmacht und Weltreich
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Italiker: Wolf, Specht, Stier
 
Etrusker: Auf der Suche nach dem Willen der Götter
 
 
Alföldy, Géza: Römische Sozialgeschichte. Wiesbaden 31984.
 
Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. (ANRW ). Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung, herausgegeben von Hildegard Temporini u. a. Auf zahlreiche Bände berechnet. Berlin u. a. 1972 ff.
 
Das alte Rom. Geschichte und Kultur des Imperium Romanum, bearbeitet von Jochen Martin. Mit Beiträgen von Jochen Bleicken u. a. Gütersloh 1994.
 Bleicken, Jochen: Geschichte der römischen Republik. München 41992.
 Bleicken, Jochen: Die Verfassung der Römischen Republik. Grundlagen und Entwicklung. Paderborn u. a. 71995.
 
Corpus iuris civilis. Text und Übersetzung. Auf der Grundlage der von Theodor Mommsen und Paul Krüger besorgten Textausgaben, herausgegeben von Okko Behrends u. a. Band 2: Digesten 1-10, herausgegeben von Okko Behrends u. a. Heidelberg 1995.
 
Fischer-Weltgeschichte, Band 6: Die Mittelmeerwelt im Altertum, Teil 2: Der Hellenismus und der Aufstieg Roms, herausgegeben von Pierre Grimal. Frankfurt am Main 1993.
 Gelzer, Matthias: Die Nobilität der römischen Republik. Mit einem Vorwort und einer Ergänzung zur Neuausgabe von Jürgen von Ungern-Sternberg. Stuttgart 21983.
 Habicht, Christian: Cicero der Politiker. München 1990.
 Hantos, Theodora: Das römische Bundesgenossensystem in Italien. München 1983.
 Heuss, Alfred: Römische Geschichte. Darmstadt 51983.
 Livius, Titus: Ab urbe condita. Bearbeitet von Wilhelm Weissenborn und Hermann Johannes Müller. 10 Bände. Zürich u. a. 151965-79.
 Macrobius, Ambrosius Theodosius: Saturnalia. Apparatu critico instruxit in Somnium Scipionis commentarios. Herausgegeben von James A. Willis. Stuttgart u. a. 21970. Nachdruck Stuttgart u. a. 1994.
 Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bände 1-3. Taschenbuchausgabe München 51993.
 Münzer, Friedrich: Römische Adelsparteien und Adelsfamilien. Stuttgart 21963.
 Vergil: Aeneis. Lateinisch-deutsch. In Zusammenarbeit mit Maria Götte herausgegeben und übersetzt von Johannes Götte. München u. a. 81994.

Universal-Lexikon. 2012.

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